Die 2. Deutsche Nordpolarfahrt von 1869

Der Schraubendampfer „Germania“ – das Hauptschiff der „2. Deutschen Nordpolarfahrt“ – war das erste „echte“ Expeditionsschiff, das für Deutschland in Fahrt ging. Sie wurde speziell für den Zweck gebaut, den extremen Bedingungen einer monatelangen Arktisreise standzuhalten. Johann C. Tecklenborg in Bremerhaven erhielt den Bauauftrag. Die Kiellegung der „Germania“ erfolgte am 10. März 1869, und nur zirka fünf Wochen später fand am 16. April der Stapellauf statt.

Von ihren Maßen her entsprach die „Germania“ etwa jenen Schonern, wie sie einige Jahre zuvor noch regelmäßig auf den Strecken nach Westindien und Brasilien verkehrten, um Kaffee oder Früchte nach Europa zu transportieren. Mit einer Länge von 31,5 Metern, einer Breite von knapp acht Metern und einem Tiefgang von drei bis vier Metern wies der Dampfer für die anstehenden Aufgaben ideale Maße auf. Durch den geringen Tiefgang konnte die „Germania“ bis dicht an den Eissaum heransteuern, und die schlanke Form des Rumpfes stellte sicher, dass auch enge Wasserrinnen problemlos zu passieren waren.

Dampfmaschine mit 30 PS

Die von C. Waltjen & Co. aus Bremen gelieferte 30 PS starke Dampfmaschine an Bord des 18.000 Taler (zirka 330.000 Euro) teuren Neubaus war seinerzeit zweifellos eines der wichtigsten Merkmale dieses Schiffes. Die Maschine machte die „Germania“ vom Wind unabhängig und versprach deutlich bessere Chancen, auch mit ungünstigen Eisverhältnissen klarzukommen. Über eine Welle wurde die Energie auf eine zweiflügelige Schraube übertragen. In erster Linie sollte die „Germania“ jedoch unter Segeln laufen, weshalb sie zusätzlich eine Schonertakelung erhielt.

Um mit den zu erwartenden extremen Eisverhältnissen fertig zu werden, verstärkte die Tecklenborg-Werft die Beplankung mit einer so genannten Spikerhaut, die handdick mit Bolzen nach innen auf dem normalen Rumpf befestigt wurde. Darüber kam eine Lage starken Eisenblechs. So wurde zweifach dafür Sorge getragen, dass das scharfe Eis nicht das Werg aus den Fugen reißen und ein Leck verursachen konnte. Der Vordersteven erreichte dadurch allerdings eine Dimension, wie man sie sonst nur bei Schiffen antrifft, die mindestens viermal so groß wie die „Germania“ sind.

Eigentümer des Expeditionsschiffes war laut des Schiffsregisters des Norddeutschen Bundes der Geograph und Expeditionsleiter August Petermann. Unter der Nummer 315 wurde die „Germania“ am 27. Mai 1869 mit dem Unterscheidungssignal QCHR im Register eingetragen. Eine Woche später absolvierte das Schiff seine erste Probefahrt nach Nordenham.

Gefangen im Eis

Während der „2. Deutschen Nordpolarfahrt“ befanden sich 14 Personen, darunter vier Wissenschaftler, an Bord der „Germania“. Das Kommando hatte Kapitän Karl Koldewey. Er führte das Schiff entlang der grönländischen Ostküste bis auf eine Höhe von 75° 31’, wo am 10. September 1869 undurchdringliches Packeis die Weiterfahrt stoppte. Die „Germania“ ankerte anschließend viele Monate lang – vom Eis besetzt – an der Südseite der Sabine-Insel. Während dieser Zeit absolvierte die Besatzung zahlreiche Schlittenexpeditionen entlang der Küste. Bei einer dieser Reisen erreichte man im Frühjahr 1870 das Küsteneis auf 77° nördlicher Breite, den nördlichsten Punkt der gesamten „2. Deutschen Nordpolarfahrt“.

Am 11. September 1870 kehrte die „Germania“ in ihren Heimathafen Bremerhaven zurück. Die Besatzung brachte zahlreiche Erfolge und neue Erkenntnisse mit. Neben der Entdeckung des Kaiser-Franz-Joseph-Fjords (73° 11’) und der ersten geschlossenen einjährigen Beobachtungsreihe über das Klima Ostgrönlands ist vor allem der Beweis, dass man an der Ostküste Grönlands gegen das nach Süden treibende Eis nicht mit einem Schiff zum Nordpol vordringen kann, zu erwähnen.

Das Hauptschiff der „2. Deutschen Nordpolarfahrt“ wurde noch mal 1871 für eine Reise zwischen Spitzbergen und Novaja Semlja als Dampfer eingesetzt. 1872 entfernte man die Maschine, sodass die „Germania“ als Handelssegler unterwegs war und mehrere Reisen zum Cumberland-Sund (Baffin-Island/Kanada) unternahm. Ein letztes Mal diente das Schiff im Rahmen des 1. internationalen Polarjahres 1882 wissenschaftlichen Zwecken, ehe es 1884 nach Großbritannien verkauft wurde. Hier setzte man die „Germania“ als Walfänger ein. Während einer dieser Fahrten ging sie im Jahre 1891 verloren.